ISMPS

INSTITUT FÜR STUDIEN DER MUSIKKULTUR

DES PORTUGIESISCHEN SPRACHRAUMES


MUSIK IN GLOBALEN PROZESSEN

Guinea-Bissau


kulturwissenschaftlich orientierte Musikstudien &

musikwissenschaftlich geleitete Kulturstudien

Kontexte

Westafrika Senegal/Guinea | Region Cacheu | Archipel Badajós | Kap Verde


e.V. gegründet
1968 - Brasilien
1985 - Deutschland



Vorsitz: Prof. Dr. Antonio Alexandre Bispo

Universität Köln


Guinea-Bissau gehört zu den Kontexten, die zu den Forschungsaufgaben des ISMPS zählen. Die Studien sind im Sinne der Zielsetzung des ISMPS zu verstehen. Sie sind Ergebnisse von Entwicklungen, die zu dessen Gründung 1985 geführt haben. Diese reichen zurück auf eine Bewegung zur Erneuerung der Kultur- und Musikstudien, die in Universitätskreisen Brasiliens in den 1960er Jahren entstand.


Gegenstand der Studien: Musik in Kulturprozessen


Die Studien des ISMPS, die sich auf Guinea-Bissau beziehen, beschränken sich nicht auf die Grenzen des heutigen unabhängigen Landes, sondern betreffen Entwicklungen in Kontexten, in die es eingeschrieben ist.  Guinea-Bissau dient als Referential zur Betrachtung von Prozessen innerhalb eines Netzwerkes von Beziehungen, das die Region mit anderen Gebieten der Guinea-Küste und der Bucht von Guinea mit seinen Inselgruppen, vor allem Kap Verde, verbindet. Dazu zählen auch die Gebiete Amerikas und der Karibik, zu denen Menschen aus dieser Sphäre Westafrikas im Rahmen des Sklavenhandels in früheren Jahrhunderten gebracht wurden. In den Aufgabenbereich des Instituts fallen auch die Migrantengruppen in Europa, die in rezenteren Zeiten das Land nach der Unabhängigkeit oder auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen verlassen haben.


Die Aufmerksamkeit richtet sich auf die Rolle der Musik bei Kulturprozessen, die u.a. durch Besiedlungen, Kontakte, Handelsbeziehungen, Missionierungen, Ein- und Auswanderungen, Verschleppungen und Versetzungen im Verlaufe des Sklavenhandels früherer Jahrhunderte eingetreten sind. Für spätere Zeiten werden Vorgänge beachtet, die durch Bildung, Erziehung, Propaganda, Werbung u.a. entfacht werden.


Bedeutung des Guinea-Raumes für Kultur- und Musikstudien


Die Bedeutung der Guinea-Küste für eine prozessoriente Kulturforschung in globalen Zusammenhängen wird aus der Geschichte der Ankunft der Europäer im 15. Jahrhundert ersichtlich. Die Guinea-Küste wurde bereits 1446 erreicht. Die Vielfalt ethnischer Gruppen, die in konfliktreichen Beziehungen zu islamisierten Gruppen standen, die Präsenz von Europäern verschiedener Nationen, die dort Handel trieben, das Wirken und Leben von Juden, die von der iberischen Halbinsel vertrieben wurden und die Beziehungen zu den anderen von den Portugiesen erreichten Regionen Afrikas erfordern eine Ausrichtung des Blicks auf Begegnungen, Interaktionen und Kulturveränderungen. Diese erfolgten seit den ersten Kontakten spontan oder wurden durch staatliche Instanzen und Kirche geleitet, wobei es zu Anpassungen, Wandlungen und Interaktionen kam, die Kultformen und religiöse Praktiken entstehen ließen, die gewöhnlich als synkretistisch bezeichnet werden. Der Guinea-Handel im Allgemeinen und der Sklavenhandel im Besonderen sind für ein innerafrikanisches, atlantisches und transatlantisches Netzwerk von Bindungen von grundlegender Bedeutung. In diesem Netzwerk verliefen die Kanäle für wechselseitigen Austausch und Übertragung von Auffassungen, Kult- und Festpraktiken.


Die Auseinandersetzung mit den Kulturvorgängen an der Guinea-Küste darf sich nicht auf die ersten Jahrhunderte seit der Ankunft der Europäer beschränken. Guinea wurde bis 1879 von Kap Verde aus verwaltet, als es dann zu einer Provinz erhoben wurde. Dies stellt eine Phase der Geschichte Guineas – wie auch die Entwicklungen vor der Unabhängigkeit im 20. Jahrhundert  – dar, die nocht unzurreichend erforscht und in der Literatur kaum berücksichtigt ist. Die reziproken Beziehungen zu Kap Verde wirken sich bis in die Gegenwart aus und waren für die Unabhängigkeit dieser ehemaligen portugiesischen Überseegebiete von Bedeutung. Dennoch ist es unter verschiedenen Aspekten angebracht, beide Kontexte differenziert zu betrachten.


Guinea-Bissau trat in den Vordergrund der internationalen Aufmerksamkeit erst durch die Kämpfe um die Unabhängigkeit, zu dessen Hauptvertretern der Literat Amilcar Lopes Cabral (1924-1973) zählte, der von 1956 bis 1973 der PAIGC vorstand. Seine ideologischen und kulturtheorischen Auffassungen – sowie auch das Denken anderer Dichter und Intellektueller, wie Hélder Proença (1956-2009) – müssen für die Analyse der Kulturentwicklungen dieser Zeit und ihrer internationalen Auswirkungen berücksichtigt werden.


Aktualität von Guinea-Bissau für Kultur- und Musikstudien


Die Kulturstudien zu Guinea-Bissau unter dem Aspekt der Musik sind von aktueller Bedeutung, denn das Land ist in der breiten Öffentlichkeit heute vor allem durch die Popularmusik präsent. Guinea-Bissau nimmt eine bedeutende Stellung in der World Music ein. Die Beachtung dieser Musikproduktion ist für kulturwissenschaftliche Studien im Zeichen der Globalisierung im Allgemeinen relevant. Durch die Musik werden auch Botschaften vermittelt. Text und Musik lassen Tendenzen im Denken und Musikschaffen erkennbar werden. Die Musik ist in politische, soziale u.a. Prozesse eingeschrieben, sie prägt emotionale Zustände, leitet und trägt Entwicklungen. Sie lässt Wechselbeziehungen in grenzüberschreitenden Zusammenhängen erkennbar werden. Die Entwicklungen der Popularmusik Guinea-Bissaus – wie auch in anderen lusophonen Ländern Afrikas – hängen eng mit der Migration zusammen. Bedeutende Zentren des Musikschaffens sind afrikanische Migrantengemeinden in Europa, u.a. in Portugal, Frankreich und Skandinavien.


Für eine eingehende Betrachtung von Guinea-Bissau im Zeichen globaler Entwicklungen ist die Berücksichtigung von Prozessen, die letztlich auf die ersten Zeiten der Kontakte mit den Europäern zurückreichen, notwendig. Bereits die ersten Kontakte wurde von Musik und Tanz geprägt. Menschen aus Guinea kamen nach Portugal, bestimmten dort das Bild des Afrikaners und wurden von den Europäern im Licht der Bildersprache und Menschenauffassungen mittelalterlicher christlicher Tradition betrachtet.  Als Typus fand der Guineer Einzug im europäischen Festbrauchtum, das in lateinamerikanische Regionen übertragen wurde. Musikhandschriften des 16. Jahrhunderts aus Mittelamerika, die Guinéus nachahmen und ihre Musikinstrumente erwähnen, gehören zu den ältesten Quellen der Musikgeschichte der Neuen Welt. Sie sind auch Quellen zu transatlantischen Beziehungen von Spielen des europäischen Jahreskreises, die bis heute weiterleben und somit für das Studium von Kulturtraditionen von Bedeutung sind.


Entwicklung der Kultur- und Musikstudien


Die Kulturstudien zu Guinea im Allgemeinen, wie sie im Rahmen des ISMPS durchgeführt werden, setzten in Brasilien in den 1960er Jahren ein. Einerseits wurde die Aufmerksamkeit auf Guinea im Bereich der historischen Aufführungspraxis gelenkt, andererseits in der Volkskunde. Vor allem aber auch die revolutionären Entwicklungen und Ereignisse in Afrika, die zur Unabhängigkeit von Guinea-Bissau und anderen ehemaligen portugiesischen Gebieten führten, bestimmten ein wachsendes Interesse für das Land und eine Wendung von Sichtweisen.


Im Musikleben, bei Chören und in Kreisen, die sich der alten Musik widmeten, rückte Guinea in das Blickfeld wegen der Erwähnung von Menschen aus Guinea in Villancicos des 16. und 17. Jahrhunderts in portugiesischen Denkmälerausgaben. Bei diesen Werken, die sich auf Volksbräuche der Weihnachts- und Epiphaniezeit beziehen, wie sie in bäuerlichen, dörflichen Milieus praktiziert werden, werden Guineus mit Musikinstrumenten auf dem Weg zur Krippe besungen. Sie ahmen auch satztechnisch Musik bzw. Ausrufe von Afrikanern nach, die an diesen Bräuchen teilnahmen. Die Einübung dieser Stücke für Konzertaufführungen ließ Fragen nach einem adäquaten Vortrag aufkommen. Wie sollten diese Zitaten oder Einschübe klanglich realisiert werden? Sollten sie inszeniert und klanglich „afrikanisch“ aufgeführt werden?


In den Texten dieser Villancicos werden auch Musikinstrumente erwähnt, die bis dahin unbekannt waren. Bei Musikforschern stellte sich vor allem die Frage nach dem Sinn des Begriffs der Bamboula, das auch als Bezeichnung von Kompositionen vorkam. Es wurde Überlegungen über mögliche sprachliche Beziehungen zu portugiesischen Begriffen, die auf Tanz und körperliche Bewegung und Gestik hinwiesen („bambolear“, „bamboleio“, „bambo“, u.a.), angestellt. Diskutiert wurden mögliche Beziehungen zu dem Bâmbalo genannten Instrument Guineas.


Sowohl in Kreisen des Collegium Musicum von São Paulo als auch bei Studien der alten Musikinstrumente des Ensembles Paraphernalia entstand die Überzeugung, dass für eine kontextgerechte Aufführung nicht nur historische, sondern auch volkskundliche, ethnologische, aber auch symbolische Aspekte beachtet werden müssten. Sie verlangten, vor dem Hintergrund theologischer Auffassungen der entsprechenden Feiern des Kirchenjahres betrachtet zu werden.


Diese Dokumente waren sowohl für das Studium der alten Musik im Allgemeinen, im Besonderen für die Kolonialmusikforschung Amerikas sowie für die Geschichte der Volkstraditionen des Weihnachtskreises, die vielfach noch in der Gegenwart praktiziert werden, von Bedeutung. Sie waren wertvolle Quellen zur Diffusion von Musiktraditionen Europas und des ihnen zugrundeliegenden Welt- und Menschenbildes in die Neue Welt. Ihre Berücksichtigung verlangte interdisziplinäre Zusammenarbeit von Musikhistorikern, Dirigenten, Volkskundlern, Ethnologen und Missiologen.


Die Debatte gab grundlegende Impulse zu Bestrebungen einer Erneuerung der historischen Aufführungspraxis durch eine kulturwissenschaftlich Orientierung. Eine solche Erneuerung wurde beim 1968 in São Paulo gegründeten Forschungszentrum der Gesellschaft für prozessorientierte Kultur- und Musikforschung gefordert und führte auf Hochschulebene 1972 zur Einführung des Fachbereiches Aufführungspraxis in der Fakultät für Musik und Kunsterziehung des Musikinstituts São Paulo.


Im Bereich der Folklore-Forschung verwiesen diese Quellen auf Krippenspiele, wie sie auch in den pastoralen Volkstraditionen Brasilien in vielfältigen Erscheinungsweisen zu beobachten waren. Über dieses Brauchtum bestand eine umfangreiche Literatur aus verschiedenen Regionen des Landes, allem voran des Nordostens. Bei ihnen wurden Parallelen zu tradiertem Brauchtum der iberischen Halbinsel festgestellt und Wege ihrer Übertragung in Kolonialgebiete erörtert. Der Begriff Villancicos verwies auf die „Vilões“ bzw. „Viloas“ von Spielen und Tänzen iberischer Herkunft, die sich auf bäuerliche Dorfbewohner bzw. einfache Arbeiter bezogen, die bei Krippendarstellungen pastoraler Traditionen und Überlieferungen vorkamen. Unter diesen Figuren, die vielfach aktualisiert dargestellt wurden, befanden sich auch Schwarzafrikaner.


Die Studien wurden im Rahmen der Arbeiten der Brasilianischen Gesellschaft für Volkskunde in Kooperation mit Folkloristen und Kulturanthropologen von Universitäten derjenigen Regionen, in denen diese Traditionen besonders lebendig waren, wie Sergipe, Alagoas und Pernambuco, durchgeführt. Sie führten 1971 zu Besprechungen mit Volkskundlern und Kulturanthropologen sowie zu Beobachtungen und Feldstudien von Traditionen des Weihnachts- und Epiphaniekreises, bei denen in Krippenspielen Schwarzafrikaner zusammen mit Hirten und anderen Volkstypen auf dem Weg zur Krippe dargestellt wurden.  


In der Volkskunde waren sonstige Hinweise auf Guinea und auf einige seiner ethnische Gruppen geläufig. So wurde vermutet, dass die Bezeichnung bestimmter religiös-magischer Praktiken (mandinga) auf die Mandinka zurückzuführen war. Guinéu wurde verallgemeinernd vielfach als Bezeichnung von Menschen schwarzer Hautfarbe verwendet. Die Notwendigkeit, die Hinweise auf Menschen aus Guinea von denen aus Kongo oder Angola in der Bildersprache der tradierten Spielen zu unterscheiden, wurde diskutiert. Sie wiesen unterschiedliche Sinngehalte, historische Bezüge und Konnotationen auf.  


Die Studien erfuhren im Rahmen des 1968 gegründeten Zentrums für Musikologie der Gesellschaft für prozessorientierte Kultur- und Musikstudien eine Wendung in theoretischer Hinsicht. Die Informationen über die konfliktreichen Bestrebungen und Entwicklungen in Afrika und die entsprechende Rezeption von Tendenzen des Denkens von Dichtern und Aktivisten von Guinea-Bissau erforderte eine stärkere Berücksichtigung der politischen Prozesse.


Diese Aktualität von Guinea-Bissau und der Konflikte in Afrika prägte auch die Behandlung Afrikas bei der Einführung des Fachbereiches Ethnomusikologie 1971/72 auf Hochschulebene an der Fakultät des Musikinstituts São Paulo. Die Besprechung der Fachliteratur, die sich vor allem auf Texte französischer Ethnologen des Musée de l’Homme von Paris stützten, erfolgte gegenwartsbezogen im Zeichen der aktuellen Bestrebungen in Guinea-Bissau zur Unabhängigkeit, die 1973 verwirklicht wurde. Bei den Besprechungen in Brasilien und Portugal über eine Erneuerung von Sichtweisen in Kultur- und Musikstudien 1973/74 spielten diese Ereignisse eine bedeutende Rolle. Der Debatte sollte auf internationaler Ebene durch eine Arbeitsgruppe fortgesetzt werden, die aus einem Zentrum der musikwissenschaftlichen Studien und der Afrikanistik in Europa heraus wirkte.


1975 | Quellen zu Kultur- und Musikgeschichte


Seit 1975 wurde Guinea-Bissau im Rahmen der Studien zu den ehemaligen Überseegebieten Portugals in Afrika  von einem international zusammengesetzten Arbeitskreis berücksichtigt, der seinen Sitz an der Universität Köln hatte. Er hatte als Ziel, eine den neuen Realitäten angemessene Musikforschung des portugiesischsprachigen Raumes zu entwickeln und zu institutionalisieren. Darüber hinaus sollte er zur Entwicklung einer kulturwissenschaftlich orientierten Musikforschung auf internationaler Ebene beitragen. In ihm wirkte der Musikethnologe Robert Günther (1929-2015) mit, der Afrika als Schwerpunkt seiner Forschungen hatte und Arbeiten über Länder Westafrikas orientierte. Kolloquien mit Afrikanisten und Experten des Afrika-Museums in Tervuren/Belgien wurden durchgeführt. In musikhistorischer Hinsicht wurden Dokumente der Entdeckungszeit nach Informationen von kultur- und musikhistorischem Interessen durchgesehen.


Bei den Quellenstudien wurde besondere Aufmerksamkeit auf Zusammenhänge zum heutigen Äquatorial Guinea, zu Benin und Senegal gerichtet. Sie setzten mit der Debatte über Benin zur Zeit von João Afonso de Aveiro (ca. 1443-ca.1490) und der Zusendung von Gesandten nach Portugal und deren dortigen Empfang sowie der Präsenz portugiesischer Verwalter und Geistlicher in Benin und der Etablierung der Faktorei von Ugato ein. Die Schrift Esmeraldo de Situ Orbis von Pacheco Pereira (1460-1533) wurde als bedeutende Quelle für Kulturstudien besprochen. Die erste Notiz eines „ogan“ als religiöse Autorität wurde vor dem Hintergrund des Weiterlebens dieses Begriffs in Brasilien besonders beachtet. Der Aufenthalt von Gonçalo Coelho (1451-1512) im Senegal 1487, die Notizen über den Loskauf von Sklaven bei islamisierten Völkern, die Sendung von 100 jungen Sklaven durch Bemoim, dem Chef der Djolof, an den König von Portugal im gleichen Jahr sowie der Empfang von Bemoin in Portugal mit Stierrennen, Canas, Momos und Tänzen sowie feierlicher Kirchenmusik wurden in ihrer Bedeutung für die Untersuchung der ersten Begegnungen und ansetzenden Prozesse der Kulturveränderungen besprochen. Die Taufe des Djolof in der Kammer der Königin 1488 sowie dessen Erhebung in den Ritterstand wurden als Zeugnisse politischer und kirchlicher Strategie diskutiert.  


Eine wichtigte Quelle für kultur- und musikhistorische Studien ist die Crónica dos Feitos da Guiné von Gomes Eanes de Zurara (1410-1474). Die erste Erwähnung der Musik der Guinéus kann in ihrer Bedeutung nicht hoch genug gewertet werden. Das Bild der Guinéus bei den Europäern war das von Menschen, die keine Traurigkeit kannten, was sich in Tanz, Musik, Gesten und Geschicklichkeit bei Kämpfen ausdrückte. Die Notizen zum Fort des hl. Georges von Mina – dem heutigen Elmina in Ghana – als Ort der Interaktion von Völkern sowie die Errichtung der Casa da Guiné in Portugal sowie die Maßnahmen zur Ausstattung der Missione in Guinea mit Kultobjekten und Materialien wurden unter verschiedenen Aspekten besprochen.


Zu den beachteten Berichten aus dem 15. Jahrhundert gehörten die von Nuno Tristão (†1446) über die Mande sowie die von Estevão Afonso aus Lagos zu Casamansa sowie vor allem auch die Angaben von Ruy de Pina (1440 - 1522). Besondere Aufmerksamkeit wurde dem Tratado breve dos rios de Guiné do Cabo Verde, desde o rio do Sanagá Até aos baixos de Sant' Anna [etc.] von 1594 des in Kap Verde geborenen André Alvares de Almada, Sohn einer schwarzafrikanischen Frau und Ciprião Álvares de Almada (1535-1614), als grundlegende Quelle für Kulturstudien gewidmet. Im Zentrum der Diskussion standen Musikinstrumente, insbesondere das Vorkommen von drei verschiedenen Typen von Kriegstrommeln der „judeus negros“. Die Hinweise auf die Funktion der Trommelsprache als Kommunikationsmittel bei der Gefangennahme geflohener Sklaven wurden besonders beachtet. Die Notizen zu den Bambalos an der Guinea-Küste gaben Anlass zu eingehenden Besprechungen, da sie nach der Quellenlage auch im Dienst der Häuptlinge und Gruppen standen, die in den Schlavenhandel involviert waren. Zum Klang des Bambalo wurde auch bei Praktiken der Brautwahl getanzt. Aufmerksamkeit wurde auch der Bemerkung zu den Musikinstrumenten der Jambundanes und deren Möglichkeit zur Vielstimmigkeit geschenkt.


Die Notizen zu den folgenschweren Entwicklungen des Sklavenhandels zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurden eingehend berücksichtigt. Eine besondere Bedeutung für differenzierte Studien der Geschichte des Sklavenhandels wurde den Verordnungen des Hauptmanns von Guiné von 1615 zum Bau einer Festung zum Schutz gegen Sklavenhändler beigemessen. Die Aktivitäten des „Tambo maos“ („Tango“, „Tangomão“, „Pombeiros“) in Cacheu und am Fluss São Domingos sowie die Maßnahmen zur Eindämmung der „Tangos“ bei der Christianisierung von Guinea wurden diskutiert.


Im Rahmen der Quellenstudien wurde die Behandlung und Deutung der Dokumente in der historiographischen Literatur besprochen. Dabei wurden unter ethnologischen Aspekten vor allem Publikationen von Avelino Teixeira da Mota (1920-1982) beachtet.


1977 | Missionsgeschichte und Musikethnologie


Seit der Gründung des Instituts für hymnologische und musikethnologische Studien (Köln/Maria Laach) 1987 traten missiologische Aspekte bei den Musikstudien zu Afrika in den Mittelpunkt. Wenn auch die Zielsetzung des Instituts gegenwartsbezogen war – die Entwicklung einer kulturell geeigneten geistliche Musikkultur im Zeichen der Anweisungen des II. Vatikanischen Konzils –, erwies sich die Beschäftigung mit der Missionsgeschichte als unerlässlich. Beim Internationalen Kongress für Kirchenmusik, bei dem Ost- und Zentralafrika im Fokus der Besprechungen stand, wurde von der Seite der portugiesischsprachigen Forschung angemerkt, dass die Beachtung von Prozessen, die seit Jahrhunderten in Gang sind, auch für die Auseinandersetzung mit Tendenzen der Gegenwart notwendig ist. Die missionarischen Quellen wurden u.a. in der Bibliothek des Maternus-Hauses der Erzdiözese Köln, im Missionsinstitut St. Augustin/Bonn, beim Apostolischen Kolleg der Afrikanischen Missionen in Maastricht, bei der Société des Missions Africaines de Lyon sowie der Kongregation der Glaubensverbreitung in Rom (Propaganda Fide) eingesehen.


Eine besondere Aufmerksamkeit wurde den Quellen zu den Missionen der Jesuiten an der Guinea-Küste des 16. und 17. Jahrhunderts geschenkt. Zu den beachteten Notizen gehörten u.a. die Berichte über die Wirkung von Pe. Manuel Álvares bei Europäern im Hafen von Bissau und die Bekehrung von Häuptlingen als Strategie der Verchristlichung nach der Vorgehensweise der Missionare. Besonderes Interesse galt den Hinweisen auf Festhandlungen im Hafen von Santa Cruz in Guinalá und Aufhebung von tradierten Riten, auf Praktiken von Menschenopfern, die gar mit dem Schlachten von Schweinen in Portugal verglichen wurden.


Die missionsgeschichtlichen Studien wurden unter Beachtung der Ergebnisse rezenterer musikethnologischer Forschung durchgeführt. Im Mittelpunkt der Diskussionen standen die Hinweise auf die „jüdischen Musiker“ an der  Guinea-Küste. Die Notizen über als „Juden“ bezeichnete Sänger, Geschichtserzähler, Instrumentalisten und Tänzer sowie über deren Mitwirkung bei Krieg und Hochzeitszeremonien wurden im Licht rezenterer Studien zu den Griots diskutiert.


1981 | Musikforum: „Guinéus“ in Europa und Lateinamerika


1981 wurden beim deutsch-brasilianischen Musikforum in Leichlingen Traditionen des Weihnachtskreises Gegenstand von Debatten. Dabei wurde die Aufmerksamkeit auf die Villancicos des 16. Jahrhunderts gerichtet, in denen „Guineus“ erwähnt werden. Gemeinsam mit Musikwissenschaftlern und -erziehern wurden die volkskundlichen, historischen und aufführungspraktischen Debatten wieder aufgenommen, die in Brasilien seit den 1960er Jahren geführt worden waren. Fokussiert wurden dabei vor allem erzieherische Fragen im weitesten Sinne des Begriffs. Die Einbeziehung der „Guinéus“ in das christliche Brauchtum des Weinachts- und Epiphaniefestes deutete auf einen Vorgang spontaner Kulturwandlung oder geleiteter christlicher Erziehung der Afrikaner durch deren Partizipation an Volkstraditionen hin. Es wurde diskutiert, inwieweit dieser Formungsprozess in der Gegenwart fortwirkt.


1989 | Traditionen und Synkretismus


1989 wurde Guinea Gegenstand von Besprechungen beim Internationalen Symposium zu Christlichen Traditionen und Synkretismus, das vom ISMPS in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für volkskundliche Studien der Universität São Paulo unter Mitwirkung der Gesellschaft für afrikanische Länder portugiesischer Sprache und Afrikanisten durchgeführt wurde. Die Übertragung von Kult- und Festtraditionen zum amerikanischen Kontinent wurde thematisiert. Es wurde daran erinnert, dass bereits in den alten Quellen die Menschen aus Guinea als besonders festfreudig galten, aber auch religiöse Praktiken hatten, die von den katholischen Europäern als verwerflich angesehen wurden. Die Debatten kreisten um die Notwendigkeit einer Überprüfung der Betrachtungsweise von Kultformen, die allgemein als synkretistisch angesehen werden. Es wurde gefordert, systemische Mechanismen zu analysieren, die Interaktionen und Harmonisierungen ermöglichten.


1997 - 2001 | Guinea in einer Musikgeschichte in globalen Zusammenhängen


Der Stand der Studien zu den Prozessen, die durch die Ankunft der Europäer an der Guinea-Küste entfacht wurden und bis in die Gegenwart nachwirken, wurde bei einer Vorlesungsreihe zur Musik in der Begegnung der Kulturen besprochen, die zwischen 1998 und 2001 an der Universität Köln in Zusammenarbeit mit dem ISMPS abgehalten wurde. Ziel der Veranstaltung war es, die Notwendigkeit einer Erweiterung der Musikgeschichtsschreibung über die geographischen Grenzen Europas hinaus sowie einer kulturwissenschaftlichen Orientierung der Musikethnologie unter Beachtung historischer Prozesse und ihrer Interaktionen herauszustellen. Die vorhandenen Quellen wurden unter kulturwissenschaftlichen Aspekten analysiert. Unter ihnen wurde das Werk Eso Rigor e repente von Gaspar Fernandes (1570-1629), Organist in Antigua (Guatemala) und Puebla, näher betrachtet, da dessen Text bei adäquater sprachlicher Deutung Anlass zu ethnomusikologischen Erwägungen bietet („Toca negrito tamboritiyo, canta parente Sarabanda tenge que tenge sumbaca su cucumbe. Vamo negro de Guinea a lo pesebrito sola, no vamo negro de Angola …“). Unter Beachtung der ethnologischen Forschung und der vorhandenen Quellen in amerikanischen Ländern, in die Menschen aus Guinea verbracht wurden, wurde die Rolle Guineas in den folgenden Jahrhunderten besprochen. Hinsichtlich des 20. Jahrhunderts wurde die außerordentliche Bedeutung von Guinea-Bissau für die Unabhängigkeitsbestrebungen in Afrika sowie die Funktion der Musik in ihnen hervorgehoben.


2001 | Ludologie in globalen Zusammenhängen


2001/02 wurde Guinea im Rahmen des Seminars zu Spielen und Festen Lateinamerikas an der Universität Köln in Zusammenarbeit mit dem ISMPS berücksichtigt. Die seit Jahrzehnten geführten Studien im Bereich der Volkskunde wurden unter neuen theoretischen Ansätzen wieder aufgegriffen. Der Stand der Studien der tradierten Spiele der iberischen Halbinsel und Lateinamerikas wurde erörtet und erneut die historischen Notenquellen zu den Villancicos – nun unter ludologischen Aspekten –  beachtet. Zugleich wurden die tradierten Tänze und Darstellungen von Guinea anhand der ethnologischen Fachliteratur besprochen.


2002 | Guinea-Bissau und die europäischen Dimensionen der Musikkultur Portugals


2002 wurde anlässlich der Ernennung von Porto zur europäischen Kulturhauptstadt ein internationales Kolloquium zur Europäischen Dimension portugiesischer Musikkultur in Zusammenarbeit mit portugiesischen, brasilianischen und deutschen Universitäten abgehalten. Es wurde dabei hervorgehoben, dass auch die Prozesse, die durch die Einwirkung der Portugiesen in außereuropäischen Kulturen entstanden sind, in der Auseinandersetzung mit dem Thema berücksichtigt werden sollten. An die Errichtung der Casa de Guinea in Lissabon zur Entdeckungszeit wurde gedacht. Erneut war der Stand der kulturwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Villancico-Tradition in Portugal und Lateinamerika Gegenstand von Debatten.


2003 | Guinea-Bissau in der World Music


Das Musikschaffen von Musikern aus Guinea-Bissau in der Gegenwart wurde in Seminaren zu World Music an der Universität Bonn 2004 besprochen. Eine besondere Berücksichtigung fand das Musikschaffen von Migranten aus Guinea-Bissau in verschiedenen Ländern Europas. Ausgegangen wurde von der Gestalt des Ze Manel als Nationalheld und Migrant sowie der Banda N’Kassa Cobra in Lissabon und Paris. Die Suche nach eigener Identität und der Erfolg des Gumbe-Rhythmus und der Afro-Gumbe-Show wurden besprochen. Die Aufmerksamkeit wurde auf die Migrantenkreise in Nordeuropa gelenkt, insbesonders auf Salvador Embaió-Tchando, der als „Botschafter von Guinea“ in Skandinavien gilt. Die afrikanische Migrantenszene in Kopenhangen wurde in Zusammenhang mit einem weit verbreiteten Interesse für die Cora-Musik beachtet. Die Entstehung und Entwicklung afro-portugiesischer Rhythmen sowie die Interaktionen von Gumbe und Flamenco in der Musik von Bidinte wurden angesprochen. Eine besondere Aufmerksamkeit galt dem Musikschaffen von Justino Delgado (Juju), das sich durch sein politisches und soziales Engagement auszeichnet. Von den näher besprochenen Alben wurde das Album Farol als Beispiel luso-afrikanischer Musik um die Jahrtausendwende berücksichtigt. Beispiele der Musikproduktion von Manecas Costa, Issabary, Justino Delgado, Kaba Mané, Keba Ba Cissoko, José Galissa, Super Mama Djombo, Tabanka Djaz wurden besprochen.


2007 | Studien zu Migrationen und transatlantischen Interaktionen


Guinea-Bissau gehörte zu den Kontexten in den Sitzungen des Hauptseminars zum Thema Migration und Ästhetik 2007 an der Universität Köln, das in Zusammenarbeit mit dem ISMPS abgehalten wurde. Der Wendung von einer europäisch geprägten Kunstmusikpraxis zu der Wurzeln in der Volksmusiktradition wurde am Beispiel des Lebensweges von Ramiro Gomes Dias Naka nachgegangen. Nach seiner Ausbildung im Kirchenchor in vorkonziliarer Zeit wurde er von den Bestrebungen nach Erneuerung nach dem II. Vatikanischen Konzil erfasst, suchte Wege zu den Wurzeln, was auch den politischen Tendenzen der Zeit entsprach, und entdeckte die Welt des Fanado. Die Rezeption brasilianischer Musik verschiedener Ausrichtungen und Kontextualisierungen in Guinea-Bissau – so von Roberto Carlos und Martinho da Vila – trug zur Differenzierung der Musikentwicklungen bei.


2008 | Studien zu Musikforschung und Politik


Guinea-Bissau wurde in Sitzungen eines Hauptseminars zu Fragen der Beziehung zwischen Musikkulturforschung und Politikwissenschaft in Lateinamerika an der Universität Köln berücksichtigt. Der Grund dafür lag in der Verbreitung von Auffassungen von Dichtern und Aktivisten Guineas in politischen Bewegungen in Lateinamerika während der 1960er und 1970er Jahre. Kulturpolitische Auffassungen im Denken von Amilcar Cabral, die für die Kultur- und Musikwissenschaft relevant sind, wurden diskutiert. Dazu gehörte die Auffassung von Kultur als Form des Widerstandes gegen fremde Dominanz und das Bestreben zur Re-Afrikanisierung und Konstruktion nationaler Identität. Die Beziehungen zu kirchlichen Bestrebungen nach dem II. Vatikanischen Konzil wurden anhand von Aussagen zu Theologie und Kommunikation von Lopes Filomeno (Fifito) und der Beiträge bei der Konferenz Pace i Diritti in Africa in Verona besprochen.